„Das Antiphonar des Ordens von Grandmont im Kontext der eremitischen Reformliturgien des hohen Mittelalters“

gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (abgeschlossen)

 Hs. Le Mans 352 (grammontensisches Diurnale, frühes 13. Jh.), fol. 44v

Hs. Le Mans 352 (grammontensisches Diurnale, frühes 13. Jh.), fol. 44v

Projektleiter:

Prof. Dr. Ansgar Franz
Prof. Dr. Dr. Hansjakob Becker

Mitarbeiter:

Dr. Alexander Zerfaß
Maren Melitta Gillmann
Hannah Hassanein

Projektbeschreibung:

Das 11. und 12. Jahrhundert sind geprägt durch das Ringen um eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Kirche und Welt. Neben den Kampf der Kirche gegen innere Missstände und Bevormundung durch weltliche Mächte (Gregorianische Reform) treten die Armutsbewegung sowie im monastischen Bereich die Bemühung um eine Rückbesinnung auf eine biblisch fundierte vita evangelica. Weite Teile des Mönchtums werden wegen ihrer verweltlichten Prachtentfaltung und der dem eigenen Ideal kaum noch entsprechenden Lebensweise scharf kritisiert. Reformansätze wollen die Benediktregel zur Geltung bringen (so z. B. bei den Zisterziensern) oder nehmen Maß am Ideal des Eremitismus, einem heute fast vergessenen, im Hochmittelalter aber spirituell und kulturell hoch bedeutsamen Phänomen.

Zu den wichtigsten Ordensgemeinschaften eremitischen Typs zählen die Kartause und Grand­mont, die fast zeitgleich von Bruno von Köln (1084) bzw. Stephan von Muret (1076) begründet werden. Beide Orden sind bemüht, auch ihre Liturgie der gewählten Lebensform anzupassen. Als leitende Prinzipien gelten ihnen dabei eine Spiritualität der Einfachheit und Nüchternheit sowie die strikte Orientierung an der Heiligen Schrift. Die daraus resultierenden Reformliturgien zeigen sich am deutlichsten im Antiphonar, jenem Buchtyp, der die Gesänge des Stundengebets enthält. Zwar schöpfen die hier verwendeten Texte aus dem Repertoire der Tradition, doch kommen - wie erste eigene Forschungen gezeigt haben - bei der Auswahl und Anordnung Reformprinzipien zur Anwendung, deren radikale Abweichung von der Tradition beispiellos ist.

Im Zentrum des Projekts steht die Erforschung des Antiphonars von Grandmont, das in drei noch unedierten Handschriften vorliegt (im Umfang von etwa 100, 85 und 400 Folios). Die Liturgie von Grandmont, von der sich nach der Aufhebung des Ordens im Jahre 1772 nur wenige Quellen erhalten haben, fand bisher in der Forschung praktisch keine Beachtung. Eine Edition und Kommentierung des Antiphonars der Grammontenser betritt daher Neuland sowohl innerhalb der Liturgiewissenschaft als auch der Kulturgeschichte.

Für ein vertieftes Verständnis des geistesgeschichtlichen Umfelds und der Entstehungsgeschichte der Liturgie von Grandmont ist ein Vergleich mit der Reformliturgie der Kartause von besonderem Interesse, zumal zwischen beiden Traditionen auffällige Berührungspunkte bestehen. Zum Antiphonar der Kartause liegen umfangreiche eigene Untersuchungen vor, die die Rekonstruktion einer ursprünglichen Grundschicht ermöglichen. Diese (ähnlich wie in Grandmont) am Stundengebet des Weltklerus orientierte Urgestalt der Kartäuserliturgie ist schon in den ältesten überlieferten Quellen durch eine Anpassung an die Struktur monastischer Liturgie überformt. Die vollständige Rekonstruktion dieser Urgestalt ist das zweite Ziel des Projekts. Auf der Grundlage dieser Urgestalt ist in einem dritten Schritt - der die beiden Forschungsziele „Grandmont” und „Kartause” zusammenführt - ein Vergleich der liturgischen Reformbestrebungen beider Orden möglich, von dem auch Aufschluss über Abhängigkeitsverhältnisse oder zumindest (wechselseitige) Beeinflussungen zu erwarten ist.

Das Projekt zur Liturgie Grandmonts schließt in mehrfacher Hinsicht an gegenwärtige Forschung an: Zum einen ist in der Liturgiewissenschaft generell die Tagzeitenliturgie vergleichsweise wenig untersucht, was im krassen Missverhältnis zu ihrer fundamentalen Bedeutung für die christliche Spiritualität und die abendländische Kultur steht; insofern wird ein Baustein zur Füllung einer Forschungslücke in diesem Bereich bereitgestellt. Zum anderen nimmt das Projekt kirchen- und allgemein kulturhistorische Fragestellungen auf, die schon seit längerer Zeit eine stärkere Beachtung des Eremitismus innerhalb hochmittelalterlicher Reformbewegungen fordern. Darüber hinaus lassen sich von Grandmont und der Kartause aus Linien ziehen zu späteren Reformbewegungen wie zu dem sola-scriptura-Prinzip der Reformation und den neogallikanischen Reformbrevieren des 17. und 18. Jahrhunderts.

Publikation:

AntiphonarGrandmontAlexander Zerfaß

Das Antiphonar von Grandmont.
Ein Beispiel eremitischer Reformliturgien
im 11./12. Jahrhundert

Spicilegii Friburgensis Subsidia 23

Freiburg/Schweiz: Academic Press Fribourg
(2011) XXII-346 Seiten